Die Akte Metronom

Die Akte metronom GmbH: Und draußen vor der großen Stadt, stehen die Pendler sich die Füße platt…

Als vor einigen Jahrzehnten der Siegeszug des Kapitalismus eine ausgemachte Sache schien, blieb auch die staatliche Infrastruktur der bürgerlichen Gesellschaft von diesem Siegeszug nicht verschont. Das Heilmittel gegen eine angeblich zu hohe Staatsquote schien die Privatisierung, also der Verkauf von bisher gemeinschaftlich organisierten Aufgaben an private Investoren zu sein. Und so wurden Stromnetze, Krankenhäuser und insbesondere der Bahnverkehr Gegenstand spekulativen Kapitals. Spätestens mit dem Börsengang der Deutschen Bahn und der Öffnung der Bahnnetze für private Anbieter war auch der Konkurrenzkampf um die nationalen und internationalen Schienennetze eröffnet.

Die Versprechen waren groß, auch in der Kommunalpolitik der Region Hannover. Der Bahnverkehr sollte effizienter, kostengünstiger und schneller werden, samt versprochener Taktverdichtungen und einem positiven Beitrag zur Klimabilanz. Nur wenige Jahre nach der Marktöffnung können auch in der Region Hannover die zum Teil desaströsen Ergebnisse dieser neoliberalen Zeitenwende bewundert werden.

Die Pendler*innen in der Region, die sich mal wieder über eine Zugverspätung oder den Ansageklassiker „Zugausfall wegen kurzfristigen Personalmangel“ ärgern und Vergebens hoffen pünktlich von oder zur Arbeit zu gelangen, werden in aller Regel wenig Verständnis  dafür haben, dass ihr Warten am Bahnhof viel mit der großen und ein wenig mit der kleinen Politik zu tun hat. Die Entstaatlichung der Bahnbetriebe, insbesondere im Regionalverkehr,  hat viele private Investoren reich gemacht. Ebenso viele Unternehmen sind Pleite gegangen oder in die Verlustzone geraten. Jüngstes Beispiel: die metronom GmbH

Diese betreibt aktuell  noch diverse Verkehrsverbindungen in Niedersachen. Für ein Teilnetz, das so genannte Hanse-Netz 2, hatte sie einen Vertrag, der bis einschließlich 2033 die Betriebsdurchführung garantieren sollte. Dieses Hanse-Netz 2 umfasst die für den niedersächsischen SPNV und die Kundinnen und Kunden besonders wichtigen Strecken Hamburg–Bremen, Hamburg–Lüneburg–Uelzen, Uelzen–Celle–Hannover und Hannover–Northeim–Göttingen.

Der Vertag wurde nun von den öffentlichen Aufgabenträger mit Wirkung für das Jahr 2026 vorzeitig gekündigt. Hintergrund dafür: Die metronom GmbH und die Netinera Deutschland GmbH waren im Dezember letzten Jahres an die Landesverkehrsgesellschaft Niedersachen mbH  (LNVG) herangetreten und hatten diese darüber informiert, dass nur eine sofortige Entpflichtung aus den laufenden Verträgen verhindern könnte, dass die metronom GmbH in kürzester Zeit einen Insolvenzantrag stellen müsse.

Dazu die Zeitung Seevetal aktuell in ihrer Onlineausgabe vom 1.2.2024: „Der Aufsichtsrat der Niedersächsischen Landesnahverkehrsgesellschaft (LNVG) hat in seiner Sondersitzung am Dienstag die Geschäftsführung der LNVG ermächtigt, mit den Betreibern des sogenannten Hansenetzes über eine vorzeitige Beendigung des Verkehrsvertrages zu verhandeln. Betreiber des Hansenetzes ist die „metronom Eisenbahngesellschaft mbH“.

Da auch die Region Hannover Aufgabenträger ist, hat auch die Region der vorzeitigen Beendigung des Vertrages zwischenzeitlich zugestimmt. Die dazugehörige Beschlussdrucksache wurde lediglich im nichtöffentlich tagenden Regionsausschuss verhandelt. Dazu wurde den Mitgliedern des Ausschusses erst am 26.2.2024 die Beschlussdrucksache zu Verfügung gestellt, die dann mit der Mehrheit von CDU, FDP, Grünen und SPD  ohne jegliche Debatte auf dem Regionsausschuss vom 27.2.2024 durchgestimmt wurde. Mit andern Worten: eine politische Debatte zur vorzeitigen Entpflichtung der metronom GmbH aus den Verträgen war schlichtweg unerwünscht und von den genannten Privatisierungsparteien auch nicht gewollt.

Dabei lohnt der genaue Blick hinter die zahlreichen der metronom GmbH. Denn nicht nur das Land Niedersachsen  ist an dem „privaten“ Unternehmen metronom GmbH beteiligt. Vielmehr führen die Verbindungen der metronom über eine Verschachtelung von Unternehmensbeteiligungen von Italien über Londonin das niedersächsische Finanzministerium und zu einer deutschen Unternehmensfamilie namens Bachstein. 

Haupteigentümer der metronom GmbH ist die Niedersachsen Bahn GmbH & Co. KG  mit einem Anteil von  73,58 Prozent. Diese GmbH & Co.KG gehört zu 40 Prozentder Eisenbahn und Verkehrsbetriebe Elbe-Weser GmbH, in der wiederum mehrere Gebietskörperschaften der Weser-Ems-Region, das Land Niedersachsen und die Hannoversche Beteiligungsgesellschaft  Niedersachsen Eigentümer sind. Letzterer Gesellschafter steht unter der Verwaltung des Finanzministeriums Niedersachsen und erwirtschaftet seit Jahren mit Beteiligungen in niedersächsische Unternehmen eher dürftige wirtschaftliche Erträge oder sogar Verluste.

Der zweite Eigentümer der Niedersachsen Bahn GmbH & Co.KG ist die Osthannoversche Eisenbahn AG. Ihr gehören 60 Prozent der Niedersachsen Bahn GmbH & Co.KG und sie stellt die Schnittstelle zur Netinera Deutschland GmbH dar, und zwar über die Netinera Bachstein GmbH, die die  Netinera Deutschland und die Verkehrsbetriebe Bachstein  zu einer gemeinsamen  GmbH zur Beherrschung der Osthannoverschen Eisenbahn AG vereinen. So gehören 85,507 % der Osthannoverschen Eisenbahn AG diesem Zusammenschluss  aus letztendlich italienischem Kapital und dem deutschen Familienunternehmen. Den überschaubaren Rest des Kapitals der AG halten diverse Landkreise, Städte und Gemeinden  überwiegend aus Niederachsen. Hinter der Netinera Deutschland GmbH, deren Umsatz immerhin über 630 Millionen Euro beträgt, steht zunächst die Trenitalie AG (Personenverkehr der italienischen Staatsbahn) und schlussendlich die Ferrovie dello Stato Italiano mit einem Umsatz von 13,6 Milliarden Euro im Jahr 2022. Diese Verflechtung  zwischen diversen privaten und staatlichen Unternehmen und dem Land Niedersachsen sowie  zahlreichen Gemeinden des Landes ist allgemein bekannt und presseöffentlich gespiegelt.

Weniger bekannt ist, dass die metronom GmbH zu 26,42 Prozent auch der BeNex GmbH  mit Sitz in Hamburg gehört. In der Presseberichterstattung spielt diese Tochter bisher keine Rolle, dabei offenbaren sich auch hier interessante Besitzverhältnisse ,die mehr oder weniger direkt zum Finanzmarkt nach London führen. Eigentümerin der BeNex ist nämlich die IPIG Deutschland und diese ist wiederum 100 prozentige Tochter der International Public Partnership Ltd. (INPP), einem geschlossenen  Investmentfond, der sich international an sogenannten Public Private Partnerships (PPP), also an öffentlichen Aufgaben, beteiligt.

Diese Art von milliardenschweren Finanzinvestoren waren zu Beginn der Privatisierungswelle die ausgesuchten Partner staatlicher Vergabestellen. Mit Ihnen sollte Geld in den öffentlich finanzierten Schienenverkehr geholt werden, vermeintlich um die Leistungsfähigkeit des Bahnverkehrs zu erhöhen und die angeblich zu hohen Kosten zu senken. Für INPP stehen dagegen viel weitreichendere strategische Ziele hinter dem Engagement in den deutschen Schienennahverkehr. Darüber weiß das Fachportal busundbahn.de in seinem Artikel vom 3.11.2022 (Taxonomie: BeNex wichtig für „Grün“-Zertifizierung von INPP)  zu berichten. Dort heißt es:

„Laut INPP hängen weniger als 20 Prozent der BeNex-Umsätze an Fahrgasterlösen. Infolgedessen und dank der deutschen Corona-Rettungsschirme seien die Auswirkungen der Pandemie auf das Geschäft sehr begrenzt gewesen. Neben BeNex setzt INPP im Schienensektor auch auf Angel Trains (Leasing von Rollmaterial), Diabolo (Bahn zum Flughafen Brüssel), Gold Coast (Stadtbahn im australischen Queensland) und Reliance Rail (S-Bahn in Sydney). Damit INPP auf dem EU-Kapitalmarkt aktiv bleiben kann, muss die Aktie als „grünes“ Investment im Sinne der sog. EU-Taxonomieverordnung anerkannt werden. BeNex spielt in diesem sog. SFDR-Prozess eine Schlüsselrolle. Hier wurde der Evaluationsprozess erstmals erprobt. INPP stufte danach 69 Prozent der BeNex-Umsätze schon jetzt als nachhaltig ein. Die restlichen 31 Prozent fielen in die Übergangskategorie.“

Mit anderen Worten: Das deutsche Regionalschienennetz dient privaten Inverstoren am Finanzmarkt London dazu, ihre Klimabilanz aufzupolieren. Geraten die entsprechenden  Konzerntöchter und ihre Ableger in finanzielle Schwierigkeiten, können sich die Strippenzieher hinter den regionalen Eisenbahnbetreibern, obwohl selber milliardenschwer, darauf verlassen, dass die öffentlichen Auftraggeber, wie etwa die Region Hannover, die „privaten“ Bahnbetreiber vor Ort umgehend aus den vertraglichen Pflichten entlassen oder das Unternehmen einfach in die Insolvenz führen. Interessant ist dabei die Einschätzung der INPP zu ihrer Tochter BeNex und deren Engagement im regionalen Schienenverkehr. Der Geschäftsbericht weißt diesen Zweig betrieblicher Tätigkeit dem Hochrisikokapital zu 100 Prozent zu. Bleibt fraglich, ob die kommunalpolitischen Entscheidungsträger in Hannover  je einen INPP Geschäftsbericht gelesen haben. Wahrscheinlich nicht.

Im Tal der Ahnungslosen befindet sich die Politik jedoch nicht - im Gegenteil. Für die Privatisierung wurde und wird viel Geld in die Hand genommen. Freilich nicht bei den privatwirtschaftlichen Unternehmen, sondern über die LNVG das Geld des Steuerzahlers. Denn die Züge, mit denen zum Beispiel  die metronom die Strecken im Land bedient, gehören nicht etwa der eigenen Gesellschaft, sondern eben dieser mit Landesmitteln gut ausgestatteten LNVG GmbH in Hannover, die sich auf ihrer Webseite rühmt mehrere hundert Züge und Triebwagen (bis jetzt 386 an der Zahl) angeschafft zu haben und diese an die privaten Bahnunternehmen zu vermieten.         

Und auch aus den Nutznießern dieser steuergeldangereicherten Vorfinanzierung der Streckenprivatisierung macht die LNVG  keinen Hehl. So heißt es ganz offiziell:  „Ein weiterer Faktor für die Entscheidung, einen eigenen Fahrzeugpool aufzubauen, war, dass zum damaligen Zeitpunkt die DB AG die Kapazitäten aller relevanten Fahrzeughersteller mit Großaufträgen ausgelastet hatte, sodass es einen enormen Unterschied hinsichtlich der Ausgangsbedingungen zur Beschaffung neuer Fahrzeuge zwischen der DB AG und ihrer potentiellen Wettbewerbern gab. Hinzu kam, dass einige mögliche Betreiber weder finanziell konkurrenzfähig noch am Markt etabliert waren. Bedingt durch die kürzeren Vertragslaufzeiten der Verkehrsverträge war eine vollständige Abschreibung neuer Fahrzeuge innerhalb der Vertragsperiode für einige Eisenbahnverkehrsunternehmen wirtschaftlich nicht möglich .“(htps:// www.lnvg.de/spnv/fahrzeuge-fahrzeugpool/fahrzeugpool).

Oder um es auch hier mit anderen Worten auszudrücken: Milliardenschwere Investmentinteressen, die hinter den verschachtelten Tochterunternehmen stehen, waren angeblich nicht in der Lage die Fahrzeugpark als Teil ihres Investments in die Privatisierung einzubringen, sondern „mussten“ sich diese Züge durch die niedersächsische Landespolitik vorfinanzieren zu lassen. Der Steuerzahler dankt es der Politik sicherlich, dass sein Geld dafür eingesetzt wird, um privaten reichen Unternehmen den Einstieg ins Bahnnahverkehrsgeschäft auch noch finanziell schmackhaft zu machen.

Und was bleib von dem Versprechen eines effizienteren und besseren Nahverkehrs? Bei metronom nicht viel. Zahlreiche Tageblätter in Niedersachsen berichten seit Jahren von Zugausfällen. So etwa vor kurzen die Kreiszeitung Wochenblatt aus Tostedt am 21.3.2024: Zudem fallen immer wieder Züge aus oder verspäten sich erheblich, weil die Fahrzeuge Störungen aufweisen. "Diese gehören aber nicht der Metronom Eisenbahngesellschaft, sondern dem Land Niedersachsen, welches auch Vertragspartner für die Wartung ist. Diese wird durch den Hersteller Alstrom über den Subunternehmer OHE (Osthannoversche Eisenbahn GmbH) durchgeführt. Ob Türstörung, defektes WC oder Lokausfall, Metronom hat auf die Fahrzeuge also absolut keinen Einfluss. Auch nicht auf die Anzahl der zur Verfügung stehenden Garnituren, einschließlich Reserven."

Bei der LNVG wurden gerne Krokodillstränen über die vermeintliche Unzuverlässigkeit der metronom vergossen.  So ließ die LNVG über ihren Sprecher kurz vor der Vertragsaufhebung verkünden, dass der  Umfang der Kürzungen zum Fahrplanwechsel  „nicht hinnehmbar“ sei. „Wir erwarten zusätzlichen Ersatzverkehr – mit Bus oder Bahn“, sagte damals LNVG-Sprecher Dirk Altwig, anlässlich der Mangelleistung der metronom und folgerte weiter:  „Wir sind sehr verärgert über die weiteren Verschlechterungen, für Metronom wird das teuer werden.“ Denn Metronom muss für ausgefallene Verbindungen zahlen (zitiert  nach Seevetal aktuell  vom 1.2.2024).

Wenige Monate später gelten diese starken Worte nichts mehr. Unter Federführung der LNVG ist nun die metronom GmbH entpflichtet worden. Die Neuausschreibung der Strecken soll erfolgen. Über die zusätzlichen Kosten, die eine Neuausschreibung mit sich bringt, schweigt sich die beteiligte Politik bisher aus. Und an weitere Strafzahlungen für Mangelleistung ist nicht zu denken. Der metronom könnte sonst vor Ablauf der Übergangsfrist bis 2026 ja die Luft ausgehen. Eine teure Notvergabe des Streckennetzes über den üblichen Marktpreisen wäre die Folge.

Von Seiten der LNVG heißt es bisher nur, dass ein neues Konzept für das Hansenetz erarbeitet und zur Ausschreibung gebracht wird. Dadurch, dass die Fahrzeuge für das Netz aus dem Fahrzeugpool des Landes entstammen, kommt es bei der Neuausschreibung zu einem Betriebsübergang, der allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern das Recht gibt von jedem künftigen Betreiber direkt übernommen zu werden. Bei der Neuausschreibung kann sich auch Metronom wieder bewerben. Die LNVG wird das Netz mindestens in zwei Teilen ausschreiben, die an verschiedene Betreiber vergeben werden.

Was die LNVG und der verantwortliche Minister Lies hier allerdings verschweigen ist , dass auf Teilen des Hanse-Netz 2 in den folgenden Jahren Baumaßnahmen anstehen, die die Frage nach einem wirtschaftlichen Betrieb der Strecken aufwerfen. Es bleibt abzuwarten, wie die Bewerbungslage um diese Teilstrecken aussehen wird und ob die Deutsche Bahn die sanierungsbedürftigen Strecken im Notbetrieb unterhalten wird, während „private“ Anbieter die ggf.  lukrativen Teilstrecken betreiben werden. Spannend bleibt auch die Frage, ob die metronom GmbH alleine mit wirtschaftlichen Problemen dasteht. Aber auch da weiß Minister Lies scheinbar schon bescheid. Auf der Webseite des Landes Niedersachsen klingt das so:  „Besondere infrastrukturelle Herausforderungen des Netzes im bisherigen Zuschnitt begründen unter anderem die Besonderheit dieser Vertragsauflösung, wie Minister Lies abschließend betonte: „Metronom hat um die Auflösung gebeten – und die Gründe, die dazu führten, lassen sich nicht auf andere Netze übertragen.“ (aus Webseite des Landes Niedersachsen v. 4.3.2024). Des Ministers Worte mögen den Pendler:innen vor der großen Stadt ein Trost sein.  Vielleicht setzt der Minister aber nicht nur auf deren vom Warten platte Füße, sondern auch auf deren Kurzzeitgedächtnis. Denn dass  Betreiber anderer Netze nicht auch in wirtschaftliche Probleme geraten können, ist keineswegs eine ausgemachte Sache.