Hotel Plus – eine Hilfeform für wohnungslose Menschen mit psychiatrischen Problemen

Anfrage der Fraktion DIE LINKE vom 27. April 2018

 

Sachverhalt:

Alleine im Gebiet der Landeshauptstadt Hannover gelten im Jahr 2018 ca. 4.000 Personen als wohnungslos.1

Nach aktuellen Publikationen von Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe gehören davon 400 Menschen zu der Gruppe der Straßenobdachlosen. Laut Erhebungen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V. (BAG W) kommen in Großstädten bis zu 50 % der Personen ohne jede Unterkunft auf der Straße aus EU-Staaten, vornehmlich aus Osteuropa.

Im Regionsgebiet mit seinen 1.200.669 Menschen (Stichtag 31.12.2017)2 dürfte die Zahl wohnungsloser Menschen schätzungsweise bei ca. 8.000 Personen liegen.

Besonders Haftentlassene, verschuldete Menschen oder z. B. Menschen, die eine stationäre Therapie abgeschlossen haben, droht das Schicksal der Wohnungslosigkeit/Obdachlosigkeit.

Wohnungslose Menschen mit psychischen Auffälligkeiten bzw. psychischen Erkrankungen wechseln häufig zwischen den Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe und den Akutstationen der KRH Psychiatrie Langenhagen und KRH Psychiatrie Wunstorf hin und her, ohne eine angemessene und passgenaue Hilfe zu erhalten.

Haftentlassene Menschen können sich an die Beratungsstelle RESOhelp wenden.3 Die Region Hannover finanziert die AG Resohelp zu 15,18 %, das Jobcenter Region zu 18,27% (Jahresbericht 2016). Die Beratungsstelle hat im Berichtsjahr 2016 81 Suchanzeigen für wohnungslose Klient*innen geschaltet. Daraus haben sich aber nur vier Abschlüsse eines Mietvertrages ergeben.

In Köln wurde seit 1997 das Konzept der „betreuten Hotelunterbringung“ entwickelt und damit der Kreislauf des Rotierens zwischen Klinik und Notunterbringung unterbrochen. Das Hotel Plus ist eine Unterbringungs- und Betreuungsangebot für wohnungslose Männer und Frauen mit psychischen Problemen bzw. Erkrankungen. Mit diesem Konzept werden in Köln 34 Plätze in drei Häusern belegt.4

 

Vor diesem Hintergrund frage ich den Regionspräsidenten:

1. Wie stellt sich die Region Hannover zu der geschilderten Problemlage der schätzungsweise ca. 8.000 wohnungslosen Personen?

Antwort:

Die vorgenommene Schätzung der Zahl der Betroffenen beruht auf Annahmen der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe die für ihre Schätzung der Gesamtzahl in Deutschland folgende Faktoren zugrunde legt:

  • Zahl der ordnungsrechtlich untergebrachten Personen
  • Zahl der Bewohnerinnen und Bewohner in stationären und teilstationären  Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe
  • Zahl der als bei der Kommune gemeldeten obdachlosen Personen, die nicht untergebracht sind oder in einer Einrichtung leben
  • Zahl der im Wohnungslosenhilfesystem registrierten Personen, die bei Freunden, Bekannten oder Verwandten oder in Ersatzunterkünften (Schrebergarten, Bauwagen etc.) untergekommen sind
  • Zahl der Personen, die ohne jede Unterkunft auf der Straße leben

 

Besonders die beiden letztgenannten Personengruppen bergen sowohl eine Dunkelziffer als auch mögliche Doppelungen. Grundsätzlich ist aktuell nur eine Schätzung der Gesamtzahl der Betroffenen möglich, da es bisher noch keine bundeseinheitliche Wohnungsnotfallstatistik gibt.  Auch die Zahl der Wohnungslosen in der Region Hannover lässt sich demnach nur schätzen.

Die Verwaltung bereitet derzeit eine regionsweite Stichtagsabfrage vor um einen aktuellen Überblick über die Anzahl der Betroffenen zu erhalten. Daher soll die vorgenannte Zahl nicht bewertet werden.

Für die beschriebene Zielgruppe Wohnungsloser mit psychischen Auffälligkeiten kommen in der Regel auch Hilfen nach §§ 67 ff. SGB XII zur Überwindung besonderer sozialer Schwierigkeiten in Betracht.

§ 67 SGB XII – Leistungsberechtigte (Auszug)

Personen, bei denen besondere Lebensverhältnisse mit sozialen Schwierigkeiten verbunden sind, sind Leistungen zur Überwindung dieser Schwierigkeiten zu erbringen, wenn sie aus eigener Kraft hierzu nicht fähig sind. (…)

§ 68 SGB XII - Umfang der Leistungen (Auszug)

(1) Die Leistungen umfassen alle Maßnahmen, die notwendig sind, um die Schwierigkeiten abzuwenden, zu beseitigen, zu mildern oder ihre Verschlimmerung zu verhüten, insbesondere Beratung und persönliche Betreuung für die Leistungsberechtigten und ihre Angehörigen, Hilfen zur Ausbildung, Erlangung und Sicherung eines Arbeitsplatzes sowie Maßnahmen bei der Erhaltung und Beschaffung einer Wohnung. (…)

Für diese Hilfen hat die Regionsversammlung im Jahre 2014 ein Regionales Handlungskonzept verabschiedet, das für einen Zeitraum von fünf Jahren die Ziele und Maßnahmen beschreibt, die zu einer bedarfsgerechten Versorgung der Leistungsberechtigten führen sollen (Beschlussvorlage Nr. 1562 (III) BDs).  Dort sind unterschiedliche Zielgruppen des Personenkreises identifiziert und bei der Konzipierung der Hilfen berücksichtigt, die bisher nicht unbedingt die für sie erforderliche Maßnahme im Hilfesystem vorfinden. Dazu gehören neben den oben genannten Wohnungslosen mit psychischen Auffälligkeiten und Haftentlassene auch Migrantinnen und Migranten, junge Volljährige, Frauen, lebensältere Wohnungslose, Alleinerziehende, Familien, Kranke und Menschen in Unterkünften.

In der im Jahre 2017 veröffentlichen SEEWOLF-Studie (Seelische Erkrankungsrate in den Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe im Großraum München) wird festgehalten, dass ein Drittel bis die Hälfte der untersuchten Personen deutliche psychiatrische und psychopathologische Auffälligkeiten zeigen.

 

2. Wie gedenkt die Region Hannover die „Lücke der Bedarfsdeckung für Menschen mit psychischen Auffälligkeit, die wohnungslos oder obdachlos sind“ zu schließen?5

3. Welche Überlegungen gibt es seitens der Region Hannover ein vergleichbares Angebot wie das “Hotel Plus - ein Angebot für psychische kranke Menschen aus Köln“, auf den Weg zu bringen?

Antwort:

Die Stadt Köln hat mit „Hotel Plus“ eine offensichtlich geeignete ambulante Wohnform für die in der Frage genannten Menschen entwickelt. Hier ist eine niedrigschwellige Unterbringungsmöglichkeit für wohnungslose Personen geschaffen worden, die sich aufgrund ihrer psychischen Erkrankung in keiner anderen Einrichtung halten bzw. aufgrund ihres Verhaltens nicht anderweitig ordnungsrechtlich untergebracht werden können und die Angebote der Eingliederungshilfe ablehnen.

Die Zielsetzung des Angebots besteht darin, diesem Personenkreis eine Unterkunft zu geben, eine Stabilisierung der Lebenssituation herbeizuführen und eine Heranführung an das System der sozialpsychiatrischer Hilfen oder der Suchthilfe auf freiwilliger Basis zu erreichen. Eine Kooperation zwischen der Stadt, die für die ordnungsrechtliche Unterbringung zuständig ist, der Wohnungsnotfallhilfe, der Sozialpsychiatrischen Dienste, der Suchthilfe und medizinischer Versorgung über Institutsambulanzen und niedergelassenen Fachärztinnen und Fachärzten macht die Ausführung dieses Konzepts möglich. Erforderlich für eine erfolgreiche Umsetzung ist ein langfristig vorgehaltenes psychiatrisches Beratungs- und Behandlungsangebot.

Der Erfolg dieses Angebots hat nahegelegt, auch in der Region Hannover solch ein Modell zu entwickeln bzw. in konkrete Überlegungen mit allen Beteiligten einzusteigen. Es gibt hierzu bereits einen ersten Konzeptentwurf. Es fehlt allerdings aktuell an einer geeigneten Immobilie für ein solches Angebot.

 

4. Welche Unterbringungsmöglichkeiten speziell für wohnungslose Menschen mit psychischen Auffälligkeiten bzw. psychischen Erkrankungen gibt bereits in der Region Hannover?

Antwort:

Bisher gibt es keine Unterbringungsmöglichkeiten mit der beschriebenen speziellen Ausrichtung. Die Betroffenen finden allerdings Aufnahme und Hilfe durch die vorhandenen Einrichtungen und Dienste der Wohnungslosenhilfe und den Sozialpsychiatrischen Dienst.

 

5. Welche Erfahrungen gibt es bei der bedarfsgerechten Unterstützung von wohnungslosen Menschen mit psychiatrischen Problemen?

Antwort:

Nach den vorliegenden Erfahrungen und Veröffentlichungen ist der Zugang zu wohnungslosen Menschen mit psychiatrischen Erkrankungen ausgesprochen aufwändig, zeitintensiv und erfordert eine besondere Bereitschaft mit diesem Personenkreis zu arbeiten. Daher sind hier nur langfristig angelegte Arbeitsansätze zielführend, die die Möglichkeit eines Zuganges zur fachärztlichen Behandlung beinhalten.

Sofern diese Menschen einen Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem SGB XII haben und einen entsprechenden Antrag stellen ist eine Versorgung über §§ 53 ff. SGB XII in einer eigenen Wohnung oder in einer stationären Einrichtung möglich.

Lehnen sie jedoch aufgrund fehlender Krankheitseinsicht oder schlechter Erfahrungen mit dem Hilfesystem eine Antragstellung ab, werden sie häufig in der im SGB XII nachrangigen stationären Hilfe gem. §§ 67 ff. SGB XII aufgenommen. Deren Ziel ist es jedoch nicht, eine festgestellte physische oder psychische Beeinträchtigung zu überwinden, sondern in diesem Fall auf die Inanspruchnahme notwendiger Maßnahmen der Eingliederungshilfe hinzuwirken, was aufgrund der sehr verfestigten Problemlagen häufig nicht gelingt.

 

6. Wie steht die Region Hannover zu der Schaffung des Angebotes „Apartment Plus“-einem Haus mit kleineren Wohneinheiten und der Möglichkeit für ein Betreutes Wohnen gemäß § 53 SGB XII?

Antwort:

Grundsätzlich können solche Angebote nach Auffassung der Verwaltung eine im Einzelfall geeignete Hilfe sein.

 

7. Wie steht die Region zur Überlegung das Konzept Hotel Plus auf die Zielgruppe Strafentlassene zu erweitern?

Antwort:

Grundsätzlich ist eine Übertragung des Konzepts „Hotel Plus“ auf alle andere Personengruppen, für die ein besonderer Bedarf an niederschwelligen Unterbringungsangeboten festgestellt ist, denkbar. Die Vermittlung in ein eigenes abgesichertes Mietverhältnis in dem dann ggf. notwendige sozialarbeitende Unterstützung angeboten werden kann, sollte jedoch immer den Vorrang haben. Beide Hilfeformen setzen einen Wohnungsmarkt mit entsprechenden Ressourcen voraus.

 

1Informationsdrucksache Nr. 0310/2018 der LHH: Situation von Wohnungslosen/Obdachlosen aus sozialpolitischer Sicht

2Statistische Kurzinformationen 1/2018 ,Region Hannover, S.3

3Beratungsstelle RESOhelp

https://www.diakonisches-werk-hannover.de/beratung-leistung/menschen-in-sozialer-notlage/straffaelligenhilfe/

4Hotel Plus- Hilfeform für wohnungslose Menschen mit psychiatrischen Problemen; http://www.stadt-koeln.de/service/produkt/hotel-plus-hilfeform-fuer-wohnungslose-mit-psychiatrischen-problemen

5Statement Fachgruppe „Psychiatrie und Obdachlosigkeit“ des Arbeitskreises Gemeindepsychiatrie (AKG) ;in Sozialpsychiatrischer Plan 2018 des Sozialpsychiatrischen Verbundes der Region Hannover, S.95