Angemessenheitswerte der Kosten der Unterkunft — Runder Tisch KdU Region Hannover

Antrag gemäß § 8 der Geschäftsordnung                                           2.5.2022

 

In den Sozialausschuss am 03.5.2022

 

In den Regionsausschuss am 17.05.2022

 

In die Regionsversammlung am 24.05.2022

 

Antrag zu beschließen:

 

1.            Die Verwaltung wird beauftragt einen Runden Tisch „Kosten der Unterkunft Region Hannover" einzurichten.

2.            An diesen Runden Tisch werden Akteure der Zivilgesellschaft wie der SoVD, der VdK, die Landesarmutskonferenz, der Deutsche Mieterbund Hannover sowie Organisationen der Sozial- Schulden-, Wohnungs- und Obdachlosenhilfe eingebunden.

3.            „Der Runde Tisch Kosten der Unterkunft Region Hannover" überarbeitet innerhalb eines Jahres die in der BDs 0668 (V) ermittelten Angemessenheitswerte für die Unterkunft.

4.            Aufgrund dieser Überarbeitung werden im Jahr 2023 neue Angemessenheitswerte der Regionsversammlung zur Abstimmung gestellt, die dem aktuellen Marktstand und der zu erwartenden inflationären Entwicklung im Segment Wohnungsmarkt eher entsprechen, als die von der Verwaltung in der BDs 0668 (V) ermittelten Werte.

5.            Die in der BDs 0668 (V) benannte Studie des Unternehmens Analyse & Konzept immo.consult GmbH wird allen Gruppen- und Fraktionsgeschäftsstellen zur freien Verfügung und Kommunikation überlassen.

6.            Die Verwaltung wird beauftragt, gesondert darzulegen, dass wie in der BDs 0668 (V) benannt, 20 % des Wohnungsmarktes der jeweiligen Gebietskörperschaften der Region Hannover tatsächlich den Angemessenheitswerten aus der Anlage 1 der BDs entsprechen. Dazu ist eine detaillierte Aufstellung des jeweiligen mietengebundenen Immobilienmarktes zu einem festgelegten Stichtag aus dem Jahr 2022 zu ermitteln und im Rahmen eines gesonderten Berichts den Abgeordneten der Regionsversammlung vorzulegen.

7.            Die Verwaltung wird beauftragt eine Gegenüberstellung der Angemessenheitswerte der BDs 0668 (V) im Vergleich zu § 12 WoGG Anlage 1 für alle regionsangehörigen Gebietskörperschaften einzeln nach den Größen der Personenhaushalte zu erstellen.

8.            Bis zur Beschlussempfehlung des Runden Tisch KdU der Region Hannover werden die Angemessenheitswerte aus der BDs 0668 (V) dahingehend angepasst, dass die Werte aus § 12 WoGG Anlage 1 immer dann maßgeblich sind, wenn die Angemessenheitswerte aus der BDs unterhalb der Werte aus dem WoGG liegen.

9.            Es wird die Einzelabstimmung der jeweiligen Anträge beantragt.

Begründung:

Im Rahmen diverser Leistungen nach Quellen des erweiterten Sozialrechts (SGB II, SGB XII, Asylbewerberleistungsgesetz u.a.) werden Bedarfe der Unterkunft in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. Zuständig für die Gewährung sind die kommunalen Träger. Die sog. Kosten der Unterkunft (KdU) umfassen dabei in aller Regel die Nettokaltmiete und die dazugehörigen Nebenkosten. Die anfallenden Kosten werden dabei anteilig von Bund, Ländern und Kommunen haushälterisch abgesichert.

Im Jahr 2021 wurden in der Region Hannover 300 Millionen Euro an die Haushalte gezahlt. Der Kostenanteil der Region Hannover umfasste 74 Millionen Euro. Bund und Land steuerten 194 bzw. 32 Millionen Euro zur Finanzierung der Kosten bei. Seit 2019 steigen die entsprechenden Kosten kontinuierlich von damals 280 Millionen über 293 Millionen Euro im Jahr 2020 zu den jetzt besagten 300 Millionen Euro an. Die verwaltungseigene Prognose für das Jahr 2022 geht von einem Volumen von 308 Millionen Euro aus. Unabhängig von den Aufwendungen ist zu beobachten, dass die Aufwendungen für die KdU je Bedarfsgemeinschaft (BG) kontinuierlich steigen. Seit 2015 immerhin von 382,55 Euro auf 438,60 Euro im Jahre 2021 pro BG.

Mit der BDs 0517 (V) BDs wurde von der Verwaltung nunmehr nach beinahe drei Jahren eine neue Berechnung der Angemessenheit von Bedarfen vorgelegt. Diese wurde jedoch von der Verwaltung wegen angeblicher Rechenfehler zurückgezogen. Dies nur um mit der BDs 0668 (V) vom 31.03.2022 eine vermeintlich korrigierte Anlage 1 neue Angemessenheitswerte in den Ausschüssen und der Regionsversammlung zur Abstimmung zu stellen.

Nach dem es der Verwaltung innerhalb der eigentlich vorgesehenen zwei Jahres-Frist keine Neuberechnung der Angemessenheit vorzulegen in der Lage war, kann die Berechnung aus der zitierten BDs 0668 (V) jedoch ebenfalls nicht überzeugen. Es besteht der Verdacht, dass die KdU in den regionsangehörigen Gemeinden zu niedrig angesetzt wurden und damit den gesetzgeberischen Zweck aus §§ 22 SGB II und § 35 SGB XII verfehlen, weil nach dem Auslaufen der Maßnahmen der Solidarpakte anlässlich der Corona-Pandemie eine erhebliche Unterdeckung bei den Wohnkosten der Leistungsberechtigten drohen wird.

 Dies ergibt sich zumindest bei einem ersten summarischen Vergleich der

Angemessenheitswerte mit den über das Internetportal Immoscout.de ermittelbaren Quadratmeterpreisen in den Gebietskörperschaften in der Region Hannover. Eine Übersichtsberechnung auf Grundlage einer 50 Quadratmeterwohnung lässt erkennen, dass die abstrakt errechneten Nettokaltmieten bereits den größten Teil der von der Verwaltung errechneten Nettokaltmieten aufbrauchen. Die Restwerte dürften eher nicht ausreichend sein, die anfallenden heizkostenbereinigten Nebenkosten (Bruttokaltmiete) adäquat abzudecken.

Zwar erklärt die Verwaltung, dass die Berechnung nicht nach Durchschnittswerten erfolgt (etwa nachweisbarer mittlerer Quadratmeterpreis), sondern die Berechnung anhand des unteren Segments des Mietmarktes erfolgt. Da der BDs jedoch jeglichem Berechnungsmaterial entbehrt und allein die Methodik dargelegt wird, kann die BDs und die daraus resultierende Anlage 1 von den Regionsabgeordneten nicht unabhängig überprüft werden und ist damit nicht ausreichend transparent, um ein demokratisches Abstimmungsverfahren zu gewährleisten. Die Linksfraktion macht darauf aufmerksam, dass ein solcher Mangel ggf. auch den Rechtsweg gegen einen Beschluss der Regionsversammlung eröffnen könnte.

Dieser Mangel betrifft auch die sog. Unterkunftsalternative, also die Frage, ob zu den Angemessenheitswerten für Mietsuchende auch entsprechende Wohnraum (rund 20 Prozent) am Mietmarkt frei verfügbar ist. Diese wurde von der ortsfremden Consultingfirma Analyse & Konzept ermittelt. Ausweislich des Unternehmensprofils arbeitet das Unternehmen in Hannover vorwiegend für Gundlach und den Vermieterlobbyisten Haus & Grund. Auch hier fehlt der BDs jegliches Datenmaterial, das die Annahme der Consultingfirma erhärtet, dass zu den von der Verwaltung ermittelten Angemessenheitswerten tatsächlich anmietbarer Wohnraum vorhanden ist.

Dass dem nicht so ist, erhärtet die aktuelle Situation in der Stadt Hannover und die korrespondierende Pressebericht des Madsack-Konzern in der Landeshauptstadt. So titelte die Hannoversche Allgemeine (HAZ) am 16.4.2022 „Wird die Wohnung zum Luxus?". Seit 2019 seien die Mieten um 13 Prozent gestiegen bilanziert das Blatt. Vor allen Dingen in den ärmeren Stadtteilen seien die Mieten prozentual stärker gestiegen und die Fluchtbewegung aus dem Kriegsgebiet in der Ukraine verstärkt diese Tendenz noch einmal. Randolph Fries vom Deutschen Mieterbund Hannover wird dahingehend zitiert, dass er angesichts der steigenden Inflation Sorge habe, dass Menschen mit normalen Einkommen bald keine Wohnungen mehr bezahlen können. Zu dem Ergebnis, dass die Mieten eher in den nicht wohlhabenden Stadtteilen ansteigen, kommt auch der HAZ Artikel „So wohnt Hannover" vom gleichen Tag. Und am 20.4.2022 bilanziert die gleiche Gazette: „Der große Leerstand" —trotz Wohnungsnot" und folgert, dass der Wohnungsmarkt zu weiten Teilen nicht funktioniert, weil der Wille in der Kommunalpolitik fehlt den spekulativen Umgang mit Wohnungen durch die Wohnungsindustrie wirksam zu bekämpfen. Im Rat der Landeshauptstadt war zuvor ein Antrag der linken Stadtratsfraktion auf Einführung einer Zweckentfremdungssatzung von der Rot-Grünen-Mehrheit abgelehnt worden.

 Vor diesem Hintergrund schienen die berechneten Steigerungen bei der Angemessenheit kaum die Entwicklung für die Zukunft einzubeziehen. In der Folge werden sowohl die Leistungsberechtigten als auch die sie vertretenden Sozialverbände erneut den Rechtsweg einschlagen um zu berechtigten und tatsachengerechten Unterkunftskosten zu gelangen.

Erkennbar wird somit das Vorgehen der Verwaltung nicht zu der erwünschten Rechtssicherheit gelangen. Im Gegenteil ist in keinster Weise zu erkennen, dass sich die Verwaltung über die aktuelle Entwicklung am Wohnungsmarkt ausreichend orientiert hat. Mit der steigenden Inflationsdynamik, Unsicherheiten der weltwirtschaftlichen Entwicklung und einer unklaren Lage der Pandemie ist nicht damit zu rechnen, dass es am Wohnungsmarkt zu einer Entspannung kommen wird. Immerhin weist das Portal Immoscout.de für 13 Umlandsgemeinden steigende Mietpreise allein für dieses Jahr aus. Die Verwaltung rechnet jedoch mit fallenden Kosten für die KdU ab dem Haushaltsjahre 2023 bis 2025 wie der BDs unter dem Punkt finanzielle Auswirkung zu entnehmen ist. Dies lässt den Schluss zu, dass die Dynamisierung der Mietkosten für die Geltungsdauer der BDs von der Verwaltung falsch angesetzt wurden, zumal jegliche problemorientierte Befassung mit dem Thema steigender Miet- und Lebenshaltungskosten der BDs vollständig fehlen. Im Zweifel laufen die Angemessenheitswerte dem Marktgeschehen wie bisher auch, zwei bis drei Jahre hinterher.

Auffällig ist der Unterschied der Einzelberechnungen der BDs 0668 (V) im Vergleich zu den Werten aus § 12 WoGG Anlage 1. Die Stadt Hannover etwa, wird in der aktuellen Anlage 1 zu § 12 WoGG in der Mietstufe V (mehr als 15 % wenige als 25 %geführt) geführt. Dies bedeutet für einen 1 Personen Haushalt einen gesetzgeberischen Höchstbetrag von 525 Euro (Entlastungsbetrag Heizkosten nicht inkludiert), mithin 67 Euro monatlich mehr als in der BDs der Regionsverwaltung.

Die Fraktion DIE LINKE verkennt nicht, dass die Verwaltung in der BDs ausführt über ein sog. schlüssiges Konzept zur Feststellung der Angemessenheit der Unterkunftskosten zur verfügen und auch das dieses Konzept vom Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen mit Urteil vom 19.7.2021 bestätigt wurde. Es ist aber der Beschlussdrucksache keinesfalls zu entnehmen, inwiefern die nunmehr als angemessen ausgewiesenen Bedarfe für die Unterkunft tatsächlich auf diesem schlüssigen Konzept beruhen und das Konzept der aktuellen dynamischen Entwicklung auf dem Mietmarkt noch gerecht wird. Zu prüfen wäre sodann ein möglicher Erkenntnisausfall, wenn das schlüssige Konzept nicht zu den Ergebnissen einer bedarfsgerechten Berechnung der tatsächlichen Mietkosten gelangt. Für diesen Fall folgert das Bundessozialgericht (BSG):

Im Falle eines Erkenntnisausfalls zur Ermittlung der angemessenen Referenzmiete sind grundsätzlich die tatsächlichen Aufwendungen zu übernehmen. Diese werden wiederum durch die Tabellenwerte zu § 12 WoGG im Sinne einer Angemessenheitsobergrenze gedeckelt (stRspr, vgl. zuletzt BSG Urteil vom 11.12.2012 - B 4 AS 44/12 R - RdNr. 19).

 Entgegen der Behauptung der Verwaltung in der BDs, wären dann die Tabellenwerte des § 12 WoGG durchaus als Referenzwerte für die Ermittlung der Angemessenheit zu berücksichtigen und würden als Deckel dienen.

Der BDs ist zwar zu entnehmen, dass bei der Berechnung der Angemessenheitswerte intensiv mit der regionalen Wohnungswirtschaft zusammengearbeitet wurde, ob jedoch Träger der freien und sozialen Wohlfahrtspflege bei der Erarbeitung konsultiert wurden ist nicht zu erkennen. Für die Fraktion DIE LINKE ist es wichtig, dass dieser Mangel zukünftig geheilt wird und nicht nur eine bedarfsgerechtere Ermittlung der Angemessenheit erfolgt, sondern generell eine andere Kultur der Sozialpolitik Einzug in die Regionsverwaltung erhält. Nur durch einen Runden Tisch KdU der Region Hannover kann mit den Betroffenen Leistungsempfänger*innen und deren sozialpoltischen Interessenvertreter*innen eine armutssichere Berechnung der Bedarfsmieten sicher verhandelt und getroffen werden. Ferner brauchen wir in der aktuellen dynamischen ökonomischen Gesamtsituationen eine jährliche Neubestimmung der Angemessenheitswerte damit die Transferleistungen nicht der Marktentwicklung auf Jahre hinterherlaufen. Dies ist nicht nur für die Leistungsberechtigten der KdU von entscheidendem Vorteil, sondern verringert auch das Risiko von weitergehenden Klagen vor den Sozialgerichten durch Verbände der Sozial- und Mieterberatung. Die dadurch entstehende Rechtssicherheit kann in Kombination mit der Idee des runden Tisch KdU zukünftig dazu führen, dass es jährliche Anpassungen der KdU gibt die sich in Zeiten dynamischer Preisentwicklungen die Risiken entstehenden Wohnkostenlücken minimieren.

Bei Ablehnung unserer Anträge behalten wir uns vor wesentliche Teile der Anträge als Anfragen erneut einzubringen.

Jessica Kaußen

 Fraktionsvorsitzende